Sich vom Hund beim Laufen ziehen zu lassen ist geschummelt? Von wegen! Beim Canicross ist das sogar explizit gewollt. Für das Gespann geht es dabei in extrem hohem Tempo über die Strecke. Wir blicken hinter die Kulissen einer Sportart, die sich immer größerer Beliebtheit erfreut.
Erschienen im Magazin Laufzeit 2/23
Er zittert. Er hechelt. Er zieht mit aller Kraft nach vorne und als das Startsignal ertönt, beschleunigt Pistole Prince, ein zweijähriger European Sleddog, von 0 auf 100. Per Zugleine ist er mit seiner Hundeführerin Jule Prins verbunden – und die muss das Tempo jetzt für die nächsten Kilometer mithalten. Denn Pistole Prince ist nicht mehr zu bremsen. „Da kommt man in Bereiche, die man ohne Hund niemals schaffen würde“, sagt Jule Prins später. Bei diesem Rennen, den Deutschen Meisterschaften 2019, holt sie mit ihrem Hund den Meistertitel.
Zu Fuß, auf dem Roller oder mit dem Mountainbike
Jule Prins und ihr Mann Marc sind seit vielen Jahren bekannte Namen im Canicross. Der Sport kommt ursprünglich aus Skandinavien und wird vor allem in Belgien, Frankreich und Holland ausgeübt. Beim Canicross bilden Mensch und Hund ein Team, verbunden durch eine rund zwei Meter lange, flexible Leine. Der Hund rennt, der Hundeführer auch. In zwei weiteren Disziplinen ist er auf dem Scooter (Scooterjöring) oder dem Mountainbike (Bikejöring) unterwegs. Feste Regeln, welche Hunde Canicross machen dürfen, gibt es nicht. Der Hund sollte eben körperlich dafür geeignet sein – ein Mops oder eine Bulldogge mit Problemen bei der Atmung ist das eher nicht. Im Turniersport sieht man vor allem Jagdhunde, weil sich deren Trieb gut umwandeln lässt. Beim Canicross lassen sich so Geschwindigkeiten gut über 20 km/h erzielen, mit dem Fahrrad sogar 30 km/h und mehr.
Seit dem Deutschen Meistertitel 2019 sind für Marc und Jule Prins noch viele weitere, auch internationale Erfolge dazugekommen. Nicht nur mit dem European Sleddog Pistole Prince, einer skandinavischen Schlittenhunderasse, sondern auch mit einigen der anderen 13 Hunde, die mittlerweile im Hause Prins nahe der Nordsee leben. „Canicross ist für den Menschen die härteste Disziplin, denn der Hund läuft viel schneller, als man selbst laufen könnte“, erklärt Marc Prins. Muskelkater beim Menschen ist da vorprogrammiert, denn durch das ständige Abbremsen und trotzdem Geschwindigkeit zulassen, fühle es sich an, als würde man permanent einen steilen Berg hinunterlaufen. In den anderen Canicross-Disziplinen Mountainbike und Scooter ist die Belastung beim Hundeführer deutlich geringer.
Hier ist Teamleistung gefragt
Canicross hat in den vergangenen Jahren stark an Beliebtheit zugenommen. Nicht nur im Leistungssport, wie ihn Marc und Jule Prins betreiben, sondern auch in der Breite. „Vor allem Social Media hat der Sportart einen enormen Push gegeben“, weiß Silke Schnöge, Vorsitzende des Cross Athleticdogs e.V. in Sachsen-Anhalt. Aus eigener Erfahrung weiß sie auch: „Es ist eine Hundesportart, die man recht schnell erlernen kann, weil es nicht so vieler Gehorsamkeitsübungen bedarf. Nach einem Jahr Training kann man da schon an kleineren Wettbewerben teilnehmen.“ Durch ihren ersten Hund, einen Rhodesian Ridgeback, ist sie selbst vor vielen Jahren auf den Geschmack gekommen. Das Gefühl, als Team mit seinem Hund so eine Leistung zu erzielen, ist für sie unbeschreiblich schön.
Doch auch wenn es sich recht einfach anhört, bedarf Canicross – ob nun beim Laufen, Scootern oder Radfahren – viel Training und Gehorsam beim Hund. Eine der wichtigsten Regeln: Der Hund muss den Menschen ziehen, niemals umgekehrt. Dazu braucht es ein spezielles Geschirr, eine Leine mit Rückdämpfer und einen passenden Gurt beim Hundeführer. Zum Schutz der Wirbelsäule. Im Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) ist Schnöge ebenfalls aktiv und arbeitet etwa an der Prüfungsordnung für den Turnierhundesport mit. Dort sind auch die unterschiedlichen Streckenlängen geregelt: Sprint von 400 bis 1.000 Meter, Kurzstrecke bis 3.000 Meter und Langstrecke bis maximal 10 Kilometer. Auch heißt es dort: „Ein Hund darf in Summe maximal 10.000 Meter an einem Wettkampftag zurücklegen.“ Denn nicht nur für die Hundeführer ist die Anstrengung groß, auch für den Vierbeiner.
Klein anfangen und von den Großen lernen
Marc und Jule Prins kennen das nur zu gut. Für ihre mittlerweile 13 Hunde sind sie auf einen ehemaligen Pferdehof mit 180 Quadratmeter Wohnfläche und 3,5 Hektar eingezäunter Fläche gezogen. Doch so viel Auslauf brauchen die Hunde nach dem Training gar nicht. „Nach zehn Minuten Training sind die Hunde so zufrieden, dass sie den restlichen Tag nicht mehr allzu viel Action brauchen“, sagt Jule Prins und lacht. Direkt vor der Haustür liegt die Weser mit Hundestrand und etliche Kilometer Trainingsmöglichkeiten. An manchen Tagen spannen die Prinsen alle Hunde zusammen vor den Trainingswagen, an anderen steht Einzeltraining auf dem Programm. „Mit ganz jungen Hunden trainieren wir nur eine kurze Strecke und passen diese nach Alter an. Der Vorteil ist, dass sie von den erfahrenen Hunden lernen können“, erklärt Marc Prins. Bevor es aber überhaupt mit dem Ziehen losgehen kann, muss der Grundgehorsam stimmen.
Die Richtungskommandos wie rechts und links gehören zu den elementaren Kommandos und auch das Vorbeilaufen an Menschen und Hunden ist eines der wichtigsten Dinge, die ein Zughund können muss. Hier darf der Hund auf keinen Fall den anderen Hund als Beute sehen und ihn angreifen, sondern muss schnurstracks vorbeilaufen. Klar sein muss auch: „Im Rennen wird nicht gepinkelt oder mit anderen gespielt, das Geschäft muss vorher erledigt werden.“ Auch das gilt es den Hunden beizubringen. Weil es eine Weile dauert, um einen Hund für ein Rennen perfekt vorzubereiten, und weil das Paar gerne in allen drei Disziplinen starten will, hat sich der Hundebestand bei Marc und Jule Prins ständig erweitert. Während die einen noch in Ausbildung sind, holen die anderen die Titel. Angefangen hat es mit den beiden Magyar Vizsla Drahthaaren Kalle und Cleo, die mittlerweile 8,5 Jahre alt sind und auch noch auf Rennen aktiv mitlaufen dürfen.
Mit kleinen Schritten ins Training einsteigen, egal ob auf Leistungsniveau oder als Hobbysport, ist genau der richtige Weg, erklärt auch Tierärztin Jette Schönig aus Hamburg. Im Verband Deutscher Schlittenhunde ist sie auch Tierschutzbeauftragte und kontrolliert die Rennbedingungen für die Hunde. „Erst an der Grundkondition arbeiten und dann Zugkraftintervalle setzen“, rät sie. Auch die Regelmäßigkeit genauso wie Pausen müssen gegeben sein, um sportphysiologisch einen Effekt beim Hund erzielen zu können. Wie beim menschlichen Läufer auch. Trotzdem gibt es zahlreiche Unterschiede.
Fettspender statt Nudelparty
Während bei den Zweibeinern etwa viel über den Kohlehydratspeicher läuft, holt der Hund seine Energie aus den Fettspeichern. Die berühmt-berüchtigten Nudelpartys vor einem Marathon wären für den Canicross-Hund daher weniger förderlich. „Es gibt Fettspender, von denen man einfach etwas über das Futter geben kann“, sagt Jette Schönig. Aber eine andere Ernährung brauche es erst, wenn Canicross leistungssportlich betrieben werde. Im Hobbybereich genügt die normale, qualitativ hochwertige Ernährung für den Hund vollkommen. Auch von zu viel Protein oder Ergänzungsmitteln rät die Tierärztin eher ab.
Wichtig dagegen: genügend Wasser vor dem Start. Das meint aber nicht, dass ein 20 Kilo schwerer Magyar Vizsla gleich ein paar Liter trinken soll. „100 Milliliter auf 10 Kilo Gewicht reichen vollkommen aus, sonst läuft der Hund mit einem Wasserbauch.“ Sind die Temperaturen zu hoch – und das fängt schon bei 18 Grad an – sollte der Sport lieber reduziert oder ganz abgesagt werden. Besonders eine hohe Luftfeuchtigkeit ist in Kombination mit einer hohen Temperatur schnell gefährlich, da der Hund sie nicht mehr ausgleichen kann. Er besitzt nur an den Pfoten und dem Nasenspiegel wenige Schweißdrüsen und „schwitzt“ stattdessen über die oberen Atemwege. Ist die Luftfeuchtigkeit zu hoch, kann aber keine Feuchtigkeit aus der Atemluft mehr abgegeben werden.
Wenn Jette Schönig mit ihren eigenen Hunden trainiert, dann ist Warm-Up und Cool-down immer dabei. „Ich lasse meine Hunde vor und nach dem Training immer freilaufen, dann ist die Muskulatur schon aufgewärmt und nach der Anstrengung fährt die Temperatur herunter.“ Als gelernte Chiropraktikerin prüft sie ihre Tiere auch regelmäßig auf Blockaden und schaut, ob das Geschirr Druckstellen hinterlassen hat.
Bei 13 Hunden ist Schluss
Auf dem Hof der Prinsens macht das der Hausherr selbst. Marc Prins arbeitet als Physiotherapeut – für Menschen – und kennt sich auch mit Hunden aus. „Außerdem haben wir eine Teamtierärztin, von der wir die Hunde regelmäßig durchchecken lassen“, sagt Jule Prins. Selbst die älteren Hunde im Prins-Rudel gehen noch mit auf Canicross-Wettbewerbe. Zum Teil mit anderen Hundeführern, die sich als Anfänger von Marc und Jule Prins ausbilden lassen. „Natürlich haben wir schon darüber nachgedacht, wie es mit dem Hundenachwuchs weitergeht. Aber mit 13 Haushunden ist bei den Prinsen das Maximum erreicht, da keiner der Hunde zu kurz kommen soll. Um der Leidenschaft nachzugehen, reicht das vollkommen aus. „Für die nächsten fünf Jahre wollen wir noch vorne mit dabei sein, danach schauen wir mal, was passiert“, sagt Jule Prins. Jetzt richtet sich der Blick erst einmal auf das nächste große Ziel: die Heim-WM in Leipa (Sachsen-Anhalt) im Oktober 2023. Ein nächstes Highlight, um noch weitere Menschen in Deutschland für Canicross zu begeistern. Und für das Prins-Rudel die Chance auf neue Titel.