Erschienen in BIG #135 11/2023
Von einem 2.000-Seelen-Dorf in die große Welt des Profi-Basketballs: Linda Fröhlich (44) hat vor 25 Jahren den Schritt in die USA gewagt, um dort ihren Traum zu verwirklichen. Das hat geklappt, traumhaft war es aber nicht immer.
Linda, du bist gerade aus Henstedt-Ulzbzurg wieder zurück in die USA geflogen. Was hast du hier gemacht?
„Wir hatten dort ein Basketball-Camp für Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren. Ich bin super glücklich, dass wir das nach dem ersten Camp in 2019 nun endlich wieder neustarten konnten, nachdem uns COVID in die Pause gezwungen hatte. Unsere LDV Camps („Lebe Deine Vision“, Anm. d. Red.) will ich nun ab 2024 verstärkt anbieten, um junge Mädchen zu inspirieren, ihren Basketball-Traum zu verwirklichen.“
Einen Traum, wie du ihn viele Jahre gelebt hast.
„Das stimmt, ich durfte meinen Basketball-Traum leben. Schon während ich gespielt habe, war ich dafür unglaublich dankbar. Ich finde es extrem wichtig, dass junge Mädchen andere Mädchen und Frauen sehen, die das geschafft haben. Dadurch werden Träume realistischer. Und ich weiß, dass manchmal Hilfe notwendig ist, um so etwas zu verwirklichen.“
Hilfe hattest du bestimmt von deinen Eltern, oder?
„Ja, definitiv. Meine Mutter war die Fahrerin, meine Geschwister die Mitfahrer – alle mussten Opfer bringen. Schließlich war in meiner Jugend kein Trainingsort näher als 20 Kilometer. Zum Leistungssport gepusht hat mich meine Mutter allerdings nie, denn sie wusste, dass Basketball etwas anderes ist, wenn man es auf Profiniveau spielt. Sie hat mich einfach aufgeklärt, was erforderlich sei, um erfolgreich zu sein und zu bleiben. Mein Vater ist daher oft mit mir zusammen gejoggt, wir sind regelmäßig eine Sechs-Kilometer-Runde gelaufen und die halbe Strecke habe ich nur geweint (lacht). Er gab nie auf und das Laufen wurde einfacher. Allerdings waren weder meine Mutter noch mein Vater der Grund, warum ich mit Basketball angefangen habe.“
Wie kam es dann dazu?
„Als ich neun Jahre alt war, hat meine Mutter ein Inserat in der Zeitung gesehen, wo der TSV Lamstedt in unserer Nähe Mädchen gesucht hatte für deren Basketball-Mannschaft. Also bin ich dorthin, habe aber schnell wieder aufgehört. Ich habe mich unwohl gefühlt, weil meine Mitspielerinnen mir gesagt haben, dass ich nicht gut sei. Ich habe dann andere Sportarten gemacht – Judo, Ballett, Leichtathletik. Mit 12 oder 13 Jahren gab es allerdings eine Wende: Beim Ballett war es an der Zeit, Spitzenschuhe zu bekommen. Die gab es aber nicht in meiner Größe (lacht). Das hat mir gezeigt: Der liebe Gott hat etwas anderes mit meinem Körper vor, ich werde niemals den Nussknacker tanzen. Also bin ich zum Basketball zurück.“
Und geblieben. Deine Karriere verlief dann ziemlich steil.
„Ich wurde sehr schnell von einem Kader zum anderen gesichtet und habe an verschiedenen Camps teilgenommen. Der Erfolg ließ die Flamme anfangen zu brennen. Von da an habe ich bei den Damen mittrainiert und war regelmäßig bei den Jungs und Männern im Training beim VfL Stade. Mit 16 wurde ich in die Damennationalmannschaft berufen. Rückblickend war diese Zeit eines der Goldstücke meiner Karriere. Ich habe zwar kaum gespielt, aber ich habe so viel gelernt – und habe meine Technik als Orangen- und Bananenschälerin perfektionieren können (lacht). Es war ein sehr prägendes Erlebnis, die Damen als meine Vorbilder zu haben, die EM Bronze geholt hatten. Ich durfte von den Besten der Besten lernen, zum Beispiel Marlies Askamp, die Kehrenberg Zwillinge, Heike Roth und Birgit Menz. Biggie war quasi meine Mutti. Spielerinnen wie sie haben mir gezeigt, wohin es gehen kann und was man benötigt, um an die Spitze zu kommen. Meine Erwartungen waren seitdem immer sehr hoch, und ich habe mir große Ziele gesetzt.“
Was war denn genau dein Ziel?
„Ich erinnere mich konkret an einen Moment, als ich beim Damenkader des DBBs einen Fragebogen bekommen habe, auf dem ich nach meinen Zielen gefragt wurde. Da habe ich draufgeschrieben: Ich möchte die erste NBA-Spielerin werden. Zum Glück hat der liebe Gott mir dann ein paar Jahre später die WNBA gebaut, damit ich meinen Traum auch tatsächlich verwirklichen konnte.“
Wie bist du mit dem amerikanischen Basketball in Berührung gekommen?
„Als ich mit dem SC Rist Wedel bei einem Turnier in Schweden war, hatte mich ein College-Coach angesprochen und gefragt, ob ich nicht dort spielen möchte. Da ist diese Möglichkeit, an einem amerikanischen College zu spielen, zum ersten Mal in mein Bewusstsein gerückt. Viele Dinge wusste man früher einfach nicht, es gab ja noch kein Internet. In diesem Moment fing eine neue Flamme an zu lodern.“
Also bist du nach dem Abi ans College.
„Nachdem ich beim DBB mit der Jugend und den Damen bei Europameisterschaften gespielt hatte, habe ich von einigen College-Coaches Briefe bekommen. Von Amerika hatte ich zu der Zeit noch gar keine Ahnung. Schließlich habe ich nicht in Berlin oder Hamburg gewohnt, sondern in Oldendorf. Da gibt es mehr Kühe als Einwohner und die ganze Kultur war null amerikanisch. Mich hatte auch der Coach einer kleineren Schule angeschrieben und statt wie die anderen mit materialistischen Dingen zu locken, hat sie mir versprochen, mich besser zu machen. Also unterschrieb ich das Stipendium der UNLV (University of Nevada, Las Vegas, Anm. d. Red.). Was ich dabei nicht wusste: UNLV hatte nur drei Spiele in vier Jahren gewonnen. Trotzdem war es die beste Entscheidung und gerade in den ersten beiden Jahren habe ich mich extrem verbessert.“
War dir da schon bewusst, dass du in den USA bleiben möchtest?
„Nein. Nach meinem ersten Jahr wollte ich am liebsten wieder zurück. Die Zeit dort war super taff, da habe ich fast jede Nacht geweint. Ich bin eine Familienperson und von meiner Familie wegzugehen, war für mich emotional sehr anstrengend. Auch der Wettbewerb dort war unglaublich hart. Jeden Tag musstest du um deinen Platz kämpfen, ständig ist dir jemand in den Hacken. Ich kam vom Jugendbasketball in Deutschland, wo die Eltern Kekse backen und alles Friede Freude Eierkuchen ist, und ging in ein Umfeld, wo sich nicht unbedingt alle mögen, sondern eher eine Art Arbeitskollegen sind.“
Gegangen bist du aber nicht.
„Ich erinnere mich, wie ich im Sommer in Oldendorf in meinem Zimmer saß und nicht wieder zurückwollte. Als ich mich aber bewusst entschieden habe, mir nicht meinen Traum rauben zu lassen, wurde das zweite Jahr ein ganz anderes. Das sage ich jetzt auch den Mädchen, die in die USA gehen wollen. Das erste Jahr ist hart.“
Damit bist du dem WNBA-Traum immer näher gekommen …
„Damals habe ich noch gar nicht realisiert, dass ich meinen Traum verwirklichen könnte. Ich habe erst gar nicht mitbekommen, dass sich eine WNBA geformt hatte. Erst in meinem Senior-Jahr wurde das präsenter und ich habe darauf hinarbeiten können. Die WNBA wurde plötzlich echt. Doch als mein Traum 2002 dann wahr geworden ist, begann auch ein Alptraum.“
Wieso das?
„Wenn du mal dein Ziel erreicht hast, bist du in einer Sackgasse. Das war wie ein Schock für mich. Zusätzlich zum Mentalen war es auch sportlich sehr hart, schließlich spielen die besten 130 Frauen der Welt in dieser Liga. Emotional und sozial war ich plötzlich als 23-Jährige von null auf hundert ein kompletter Profi. Es fing außerdem an, um Geld zu gehen, was bedeutet, die Krallen werden noch stärker ausgefahren.“
Wie hast du es aus diesen negativen Emotionen wieder herausgeschafft?
„Genauso wie mit meiner Entscheidung mit der Rückkehr ins College, habe mich bewusst dazu entschieden weiterzumachen und brachte mir meinen Traum wieder vor Augen. Nur diesmal musste ich den Traum sozusagen erneuern und auffrischen. Ich wollte nun die beste Linda Fröhlich werden, die ich je sein konnte.“
Der Weg dorthin führte dich dann auch nach Italien, Spanien, Griechenland, Russland, in die Türkei, nach Tschechien und die Slowakei. Warum bist du nie den Schritt in die deutsche Liga gegangen?
„Leider hat das finanziell nicht gepasst, das machte einfach keinen Sinn. Man hat schließlich limitierte Jahre und muss auch daran denken, Geld zu verdienen. Und in Deutschland funktionierte das nicht. Das ist eine Realität, die ja leider immer noch besteht. Marlies Askamp hatte vor meiner Zeit in der WNBA 16.000 Dollar im Monat verdient, bei mir waren es dann schon 34.000 Dollar und die Rookies heute bekommen ganz andere Summen. In den USA rollt es weiter, im deutschen Basketball leider noch immer nicht.“
Verfolgst du noch, was in der deutschen Basketball-Liga heute passiert?
„Ab und zu kontaktieren mich Mädchen, die aufs College wollen, dann informiere ich mich kurz über den Stand der Ligen. Aber ansonsten bin ich da aktuell raus. Da aber meine Nichte und mein Neffe nun bei den Hamburg Towers angefangen haben, komme ich langsam wieder rein.“
Aber die Nationalmannschaft verfolgst du bestimmt ein bisschen. Wie schätzt du den aktuellen Kader ein?
„Ich glaube, dass wir gerade einen ganz tollen Kader haben. Der deutsche Basketball hat da ein paar Vorzeige-Athletinnen und wenn alle mitmachen, können wir wirklich etwas erreichen. Es sind viele Spielerinnen dabei, die haben die Welt gesehen, indem sie in den Schritt ins Ausland gewagt haben. Ich war damals ja eher eine Ausnahme. Mein Tellerrand war nicht der einer Teetasse, sondern eines Suppentellers. Unser DBB-Kader ist grad gefüllt mit College-All-Stars, Europapokal- und Europaliga-Teilnehmerinnen, MVP‘s, WNBA-Spielerinnen und WNBA-All-Stars. Da sollten wir tief in die Trickkiste greifen können. Ich freue mich auf jeden Fall, diese Mannschaft zu verfolgen und anzufeuern.“
Du selbst bist nach einem Doping-Skandal damals aus der Nationalmannschaft verbannt worden… Was war passiert?
„Nach der WNBA-Saison 2007 in Sacramento hatte ich einen Burnout. Mir war ständig schwindelig und für die Balance im Ohr musste ich ein Medikament nehmen. Mein damaliger Verein in der Slowakei hatte leider verpasst, das an die europäische Doping-Behörde weiterzugeben und so wurde ich wegen Dopings gesperrt. Der DBB hatte mir dann geholfen, schneller aus dieser Sperre wieder herauszukommen, da ich vor der Dopingsperre – so wie jedes Jahr – zugesagt hatte, bei der EM-Qualifikation im Januar mitzuspielen.“
Hast du dann aber nicht.
„Mit der Sperre wollte mich natürlich nach der Weihnachtpause erstmal kein Verein so richtig haben. Dann bekam ich aber allerdings von einem Verein doch ein tolles finanzielles Angebot, dass ich nicht ausschlagen konnte: 30.000 Dollar im Monat für zehn Monate Vertrag. Voraussetzung war allerdings, dass ich dem Verein während der EM-Qualifikation zur Verfügung stehen musste. Ich musste eine extrem harte Entscheidung treffen – für das Geld und gegen die Ehre, für mein Land zu spielen. Dafür stehe ich aber auch heute noch zu 100 Prozent.“
Das war dann das Ende in der Nationalmannschaft?
„Gottseidank wurde ich nach der Verbannung zurück in den Kader genommen und durfte vor meinem Karriereende noch eine Ehrenrunde mitspielen. Ich freue mich sehr darüber, weil mir durch den DBB viele Türen geöffnet wurden, für die ich immer dankbar sein werden.“
Stehst du heute noch mit dem DBB in Kontakt?
„Nicht regelmäßig, aber hin und wieder schon – genau wie mit vielen Freunden, die ich in meiner Basketballkarriere gemacht habe. Ich möchte die Connection nach Deutschland nun mit meinen Camps wieder mehr aufbauen, Impulse setzen und einfach da sein. Wie gesagt, ich möchte die jungen Mädchen gerne inspirieren und suche nach Orten, in denen ich Camps abhalten kann. Ich will inspirieren und dazu meine Geschichte nutzen.“