Erschienen in BIG #142 7/2024

Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist. Svenja Brunckhorst (32), DBB-Kapitänin und erfolgreiche Vereinsspielerin, hat für ihr Karriereende die perfekte Bühne auserkoren: die Olympischen Spiele. Dafür hat die 32-Jährige viele Jahre alles gegeben und auf dem Weg nach Paris den deutschen Damen-Basketball geprägt wie kaum eine andere. Zum Karriereende wartete aber noch eine schwere Entscheidung.

Ihre Stimme wackelt ein wenig, als Svenja Brunckhorst über die Qualifikation für die Olympischen Spiele spricht. „Ich bekomme eine Gänsehaut bei dem Gedanken in Paris zu spielen. Zu wissen, dass ich Olympionikin bin und als ein Teil von Team D mit der Delegation einlaufen darf, ist unfassbar“, sagt die 32-Jährige und man nimmt ihr die Begeisterung sofort ab. Vor allem wenn man weiß, wie hart sie dafür gekämpft hat, sich diesen Traum zu erfüllen. Und: Es war ihre letzte Chance. Denn nach dem großen Turnier im August ist Schluss: DBB-Kapitänin Svenja Brunckhorst beendet ihre aktive Karriere. Mit dem Höhepunkt. „Ich werde bestimmt sehr viele Tränen vergießen, wenn es soweit ist. Einfach, weil es so schön war.“ Sie hat auch Angst, in ein Loch zu fallen. Aber für den Plan nach der aktiven Karriere ist schon gesorgt und der wird sie dem Basketball noch eine Weile erhalten.

Jahrzehntelange Erfahrung weitergeben

Wenige Minuten vor dem Interview mit BIG hatte Brunckhorst eine Wohnungsbesichtigung, sie sucht Nachmieter für ihre Wohnung in Hannover. Denn ab September lebt und arbeitet die 32-Jährige in Berlin als Managerin für Mädchen- und Frauenbasketball bei Alba Berlin. „Wir planen das jetzt seit rund einem Jahr, damit ich nach meiner aktiven Karriere dort einsteigen kann“, erzählt Brunckhorst. „Ich finde sehr spannend, was da in Berlin passiert und werde gerne ein Teil davon.“ Mit ihrem Sportmanagement-Studium und jahrzehntelanger Erfahrung im Damen-Basketball wird Brunckhorst sicher nicht nur ein Teil davon, sondern eine prägende Führungskraft.

Führen kann sie und anderen etwas beibringen auch. „Wir haben zum Beispiel gemeinsam Schul-AGs gemacht und Svenja hat eine ganz besondere Art im Umgang mit den Mädchen. Sie sehen sie mit ganz großen Augen kann“, erzählt Sidney Parsons, Co-Trainerin der deutschen Nationalmannschaft und Headcoach bei TK Hannover. Sie ist sicher, dass die Stelle in Berlin für Brunckhorst genau das richtige ist.

Viel Leidenschaft, große Führungsqualitäten

Und wenn das eine beurteilen kann, dann Parsons. Sie kennt die 32-Jährige seit vielen Jahren – als Gegnerin, als eigene Spielerin, als Kapitänin, als Freundin. „Ich habe Svenja immer voller Leidenschaft erlebt, ganz egal, was sie macht. Außerdem hat sie große Führungsqualitäten“, bekräftigt Parsons. „Svenja muss nicht immer selbst 20 Punkte machen, dafür ist sie aber immer sehr präsent.“ Sie weiß genau, wo ihre Mitspielerinnen stehen und wie sie sie in Szene setzen kann. Beim Olympia-Qualifikationsturnier in Belém hatte sie 3,3 Assists pro Spiel – der drittbeste Wert aller Spielerinnen bei diesem Turnier.

Davon profitiert auch regelmäßig Sonja Greinacher, mit der Brunckhorst seit einigen Jahren 3×3 spielt. „Svenja findet mich immer“, sagt die Flügelspielerin. Seit sie Brunckhorst kennengelernt hat – vor beinahe 20 Jahren beim Bundesjugendlager – schätzt sie ihre Strukturierung und Wahrnehmung des Spiels und die uneigennützige Art auf dem Spielfeld. Aber nicht nur dort. Denn diese Art spiegelt sich auch Svenjas Freundschaften wider – sie will immer das Beste für alle.

Im Zimmer mit dem großen Vorbild

Zum ersten Mal bei einem großen Turnier zusammengespielt haben Sonja Greinacher und Svenja Brunckhorst 2007, als sie mit der U16-Nationalmannschaft bei der B-Europameisterschaft den Wiederaufstieg in die A-Gruppe schafften. „Mit jeder EM waren wir enger befreundet“, sagt Greinacher über die Zeit danach. Als es dann einige Jahre später bei der Damen-Nationalmannschaft um die Zimmerwahl ging, waren die beiden aber zunächst getrennt. Brunckhorst war mit ihrem großen Vorbild im Zimmer: Anne Delafosse (geb. Breitreiner). Die beiden kannten sich vom TSV Wasserburg, wohnten nur ein paar Straßen voneinander entfernt. „Sie war eine unglaublich tolle Spielerin und hat all meine Schritte begleitet. Sie ist meine Mentorin gewesen und war eine große Stütze“, erzählt Brunckhorst. Als Delafosse aber schließlich aus der Nationalmannschaft ausschied, war klar, dass Brunckhorst und Greinacher neue Zimmergenossinnen werden würden.

Im Verein haben beide nie zusammengespielt – bis Brunckhorst die 3×3-Bewegung in Deutschland vorangetrieben und Greinacher auch davon überzeugt hat. „Wir haben bis heute noch eine super ähnliche Wahrnehmung, was Basketball angeht und spielen auf dieselbe Art und Weise“, erklärt Greinacher die sportliche Verbindung zwischen den beiden. Dass sie zusätzlich noch einen ähnlichen Humor haben, unterstützt das Miteinander.

Die große Liebe: Wasserburg

Insgesamt sechs Meistertitel und vier Pokalerfolge feierte Brunckhorst mit Wasserburg, ihrem Heimatverein. Mit zehn Jahren war sie mit ihrer Familie aus Niedersachsen nach Oberbayern gezogen und hatte beim TSV Wasserburg alle Jugendmannschaften durchlaufen. „Jeden Tag nach dem Training war ich noch zwei Stunden in der Halle und wenn wir dort rausgeworfen wurden, sind wir eben noch auf den Freiplatz gegangen“, erinnert sich Brunckhorst. Nach kurzen Gastspielen beim USC Freiburg, beim spanischen Erstligisten Cadí Le Seu und dem französischen Erstligisten Cavigal de Nice kehrte Brunckhorst immer wieder nach Wasserburg zurück.

Neuer Ehrgeiz mit 3×3

Für neue Erfahrungen im 3×3 gab Brunckhorst den Vereinsbasketball auf, wo sie mit Wasserburg alles erreicht hatte, was möglich war. Seit dem Wechsel zu 3×3 haben Brunckhorst und Greinacher zusammen in Hannover gelebt, noch mehr privat unternommen und für fünf gegen fünf regelmäßig beim TK Hannover mittrainiert. Und Sidney Parsons Leitung. „Obwohl sie ja kein Spiel gespielt hat, war sie bei jedem Training da, hat sich sofort in die Mannschaft eingebracht“, sagt die Trainerin. Gewundert hat sie das keinesfalls. Sie hat Brunckhorst immer als absolut loyal und ehrgeizig erlebt.

Das war schon so, als beide sich 2018 in Wasserburg trafen und erstmals keine Gegnerinnen mehr waren. Brunckhorst war Kapitänin, Parsons kam als neue Cheftrainerin. „Sie stand von Anfang an voll hinter mir und hat mich unterstützt“, erinnert sich die US-Amerikanerin. Drei Jahre lang waren sie ein tolles Team und haben sich gut ergänzt. Daraus resultierten drei Top-3-Platzierungen in der 1. DBBL. Parsons schreibt Brunckhorst daran einen erheblichen Anteil zu. „Sie hat immer die richtigen Worte gefunden, um die Mannschaft und einzelne Spielerinnen zu erreichen.“

Wie angeboren: die Rolle der Kapitänin

Ob in Wasserburg oder bei den Nationalmannschaften: Brunckhorst war so gut wie immer Kapitänin. Dabei habe sie sich nie für diese Rolle gemeldet, sondern wurde immer von anderen dafür vorgeschlagen. „Ich versuche immer, dass es für alle passt und jede eine Stimme hat. Ich möchte für die Spielerinnen ein ,safe place‘ sein“, sagt Brunckhorst. Sie weiß aber auch, dass sie sehr dickköpfig sein kann und häufig eine klare Meinung hat, für die sie dann auch einsteht. „Manchmal ist es nicht ganz einfach mit mir“, sagt sie und lacht. Greinacher kennt Brunckhorst wie kaum eine andere. Und sie weiß: „Svenja kann vor allem sich selbst viel Stress machen.“ Das ist wohl auf ihren großen Ehrgeiz zurückzuführen, der Brunckhorst nun endlich dahin gebracht hat, wo sie schon so lange hinwollte: zu den Olympischen Spielen.

Der Weg mit der Nationalmannschaft an die Weltspitze war lang und für einen so kompetitiven Charakter wie Brunckhorst oftmals frustrierend. Einige Trainerwechsel, Niederlagen in entscheidenden Spielen und manchmal auch das fehlende Quäntchen Glück haben den Siegeswillen der Kapitänin auf eine harte Probe gestellt. Brunckhorst erinnert sich an die Qualifikation zur Europameisterschaft 2021 und das Qualifikationsturnier in Riga, Lettland. „Da sind wir wirklich kurz davor gewesen, dass es klappt.“ Doch dann hatte sich Leonie Fiebich im letzten Training vor dem entscheidenden Spiel verletzt und Marie Gülich musste mit COVID-19 aussetzen. „Das hat was mit einem gemacht, da ging ein bisschen der Glaube an uns selbst verloren“, gibt Brunckhorst zu.

Neue Hoffnung für große Ziele

Doch dann kam Veränderung ins Team. Unter anderem mit Nyara Sabally, Lina Sontag und Frieda Bühner kamen neue, junge Spielerinnen in die Nationalmannschaft und brachten „frischen Wind. Die waren so hungrig und haben ein neues Mindset mitgebracht“, sagt Brunckhorst. Seither erlebt sie das Nationalteam ganz anders. Talentiert, hoffnungsvoll und wieder mit dem Glauben daran, es schaffen zu können. Das hat die deutschen Damen nicht nur zur Europameisterschaft 2023 nach Slowenien gebracht, sondern auch zu den Olympischen Spielen nach Paris.

Als surreal beschreibt Brunckhorst den Moment, als ihr klarwurde, dass es nun endlich mit der Qualifikation geklappt hat. „Ich war sprachlos und habe es Tage lang nicht wirklich realisieren können.“ Schließlich lief es beim Qualifikationsturnier in Belém nicht unbedingt rund, unter anderem, weil Satou Sabally vor dem entscheidenden Spiel gegen Brasilien verletzt war. Umso größer die Erleichterung, als mit dem 73:71-Sieg der Deutschen das Ticket gelöst war. Mit dabei war auch Co-Trainerin Sidney Parsons: „Das Gesicht von Svenni zu sehen – so erleichtert und zufrieden – das war für mich ein Moment der größten Freude. Sie hat alles dafür gegeben und endlich ihren Traum geschafft.“ Und zwar gleich doppelt. Drei Monate später holte Brunckhorst auch mit dem 3×3-Team das Ticket für Paris.

Schwere Entscheidung zum Ende

Weil eine Doppelstart verboten ist, musste Brunckhorst sich entscheiden. Eine Entscheidung, die sie zum Ende ihrer Karriere noch einmal viel gekostet hat. Wochenlang ließ sie ihre Wahl offen, die Qual war ihr anzumerken. „Eigentlich war die Idee, dass ich beides spiele, aber manchmal kann man so etwas nicht selbst entscheiden.“ Einen Monat vor dem Start der Spiele teilte sie schließlich ihre Entscheidung mit: Sie wird im 3×3 antreten – gemeinsam mit Sonja Greinacher, die sich zuvor bereits für diese Disziplin entschieden hatte. „Ich habe mich hauptsächlich für 3×3 entschieden, weil ich mit Sonja zusammenspielen will. Ich habe seit der U16 immer mit ihr in der Nationalmannschaft gespielt und als sie zum 3×3-Programm gestoßen ist, war es perfekt“, begründet Brunckhorst die schwierige Wahl und gibt einmal mehr preis, welchen Stellenwert persönliche Beziehungen für sie haben. Brunckhorst will sich nun auch für all die Zeit, den Schweiß und die Energie belohnen, die sie in das 3×3-Programm gesteckt hat.

Doch nicht nur dort, auch generell den deutschen Damen-Basketball hat Svenja Brunckhorst viele Jahre lang geprägt und wird nach ihrem Karriereende ein großes Erbe hinterlassen. „Svenja hat 3×3 auf ein neues Niveau gehoben und auch in Nationalmannschaft und Liga ihre Spuren hinterlassen. Im deutschen Damen-Basketball wird sie immer einen Namen haben“, ist Sidney Parsons sicher. Ein Vorbild sein und jungen Mädchen etwas weitergeben, das ist auch, warum Brunckhorst dem Basketball vorerst erhalten bleiben will. Dass sie sich aktuell noch gar nicht als Vorbild wahrnimmt und dankbar ist über jeden einzelnen Fan, spricht auch für die 32-Jährige. Sie ist immer auf dem Boden geblieben – auch jetzt, wo es zum Karriereende noch einmal richtig hoch hinausgeht.