Erschienen in Rollt.#33 12/2022
Das Thema sorgte deutschlandweit für Schlagzeilen: die Verschiebung der Rollstuhlbasketball-WM aufgrund der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Wie konnte es dazu kommen – noch dazu so kurzfristig? Ein Gespräch mit denjenigen, die bei der IWBF in die Prozesse involviert waren: Präsident Ulf Mehrens und Generalsekretär Robert Kucera.
Die Verschiebung der Weltmeisterschaft kam für viele sehr unerwartet.
Ulf Mehrens: Das kam auch zu unserer vollkommenen Überraschung. Ich selbst war kurz davor, nach Dubai zu reisen, um dort die Begegnungen für die Weltmeisterschaft auszulosen, als uns das Lokale Organisationskomitee über die Verschiebung informiert hat. Vor dreieinhalb Jahren haben wir gemeinsam beschlossen, die Weltmeisterschaften in Dubai auszutragen, wohlwissend, dass zu diesem Zeitpunkt die Fußballweltmeisterschaft in Katar stattfinden würde. Dass sie nun verschoben werden musste, haben wir nicht ahnen können.
Norbert Kucera: Die Regierung von Dubai hat diese Verordnung erlassen, und auch das LOC damit völlig überrascht. Diese hatte sogar extra den November vorgeschlagen und es war ihnen sehr unangenehm, uns diese Entscheidung mitzuteilen. Das stellt für alle Beteiligten ein Desaster dar und die Opfer des Ganzen sind klar die Athletinnen und Athleten. Wir als Weltverband können das nur bedauern und trotzdem für Verständnis werben, unter welchen globalen Zusammenhängen diese Entscheidung zustande gekommen ist.
Mit globalen Zusammenhängen meinen Sie die FIFA-Weltmeisterschaften in Katar?
Mehrens: Hier geht es um viel mehr als nur die Fußball-Weltmeisterschaft. Das hat Dimensionen, die wirklich alles sprengen. Aufgrund der hunderttausenden Menschen, die
zur FIFA-Weltmeisterschaft reisen, ist auch Dubai als direkter Anrainerstaat betroffen und das Emirat musste sich stärker in die Thematik involvieren. Dazu muss man wissen, dass es seit vielen Jahren keine politischen Verbindungen zwischen den beiden Emiraten gegeben hat. Dubai hat nun der Unterstützung zugestimmt und politisch gesehen ist das ja grundsätzlich eine positive Entwicklung.
Trotzdem: Dass dieses Sportereignis im November stattfinden wird, wusste man doch aber schon damals, als man sich mit Dubai auf diesen Termin geeinigt hatte?
Kucera: In der Tat wusste man das vorher. Aber man wusste auch, dass seit 2017 keine diplomatischen Beziehungen zwischen Dubai und Katar bestehen. Erst im Januar 2021 sind
diese Kontakte wieder aufgenommen worden. Nun haben Reiseagenturen weltweit WM-Pakete für Katar verkauft mit Hotelarrangements in Dubai inklusive Charterflugangeboten nach Katar und zurück nach Dubai. Dadurch ist auch der Flughafen von Dubai zu einem Hub für die Fußball-WM geworden.
Mehrens: Diese Entwicklung hat schließlich dazu geführt, dass die Regierung entschieden hat, viele Sportveranstaltungen im Zeitraum der WM zu verschieben. Das betrifft auch die Sportligen vor Ort oder den Dubai Marathon.
Kucera: Ich kann die Kritik von außen natürlich verstehen, dass man den Termin der Fußball-Weltmeisterschaft ja vorher gekannt habe. Aber die Zusammenhänge darum sind geopolitisch sehr kompliziert und schwer zu erfassen. Auch die Tatsache, dass in anderen Emiraten Sportveranstaltungen stattfinden, hat politische Gründe. Denn jedes Emirat entscheidet in dieser Sache selbst. So findet beispielsweise im November auch Formel 1 in Abu Dhabi statt.
Nach außen macht das den Anschein, dass Rollstuhlbasketball in der Sportwelt nicht genügend wertgeschätzt wird.
Kucera: Der Stellenwert von Rollstuhlbasketball in Dubai ist hoch, man möchte den Sport dort weiterentwickeln. Der Sohn des Scheichs (Anm. d. Red. Scheich Hamdan bin Muhammad Al Maktum, Spitzname Fazza) selbst saß bei Veranstaltungen mehrfach im Rollstuhl und hatte großen Spaß daran, Rollstuhlbasketball zu spielen. Seit nunmehr 15 Jahren gibt es jedes Jahr ein nach ihm benanntes internationales Rollstuhlbasketball-Turnier.
Mehrens: Man hätte auch sagen können: Das ist ja nur eine Behindertensportveranstaltung, dann machen wir sie eben trotzdem oder lassen sie ganz ausfallen. Aber die Rollstuhlbasketball-Weltmeisterschaft wird so hoch angesehen, dass man sie lieber verschiebt. Das sehe ich als positives Zeichen.
Nun findet die WM im Juni statt – nur zwei Monate vor der Europameisterschaft. Gab es keine andere Option?
Mehrens: Ich war vor Ort bei den Diskussionen in Dubai dabei und wir haben uns ganz sachlich angesehen, welche Termine möglich sind. Die Weltmeisterschaft in den Oktober
vorzuziehen, wäre weder machbar gewesen, noch hätte das in Bezug auf die Vorbereitung
der Mannschaften und unter Berücksichtigung der nationalen Spielbetriebe Sinn gemacht.
Die Fußball-Weltmeisterschaft dauert bis 18. Dezember, danach ist Weihnachten und im neuen Jahr sind in Europa und weltweit alle Ligen mitten im Spielbetrieb. Danach ist Ramadan, da findet einfach gar nichts statt, nicht nur in Dubai, sondern generell. Im Mai finden schließlich die finalen Spiele in Wettbewerben wie der Euro League statt. Und dann sind wir schon im Juni – und der Termin ist jetzt gesetzt.
Kucera: Außerdem gab es ein ganz wichtiges Limit: Die WM muss vor dem ersten kontinentalen Qualifikationsturnier für die Paralympics sein. Und das sind die
Europameisterschaften im August in Rotterdam. Da bei der Weltmeisterschaft der Schlüssel
für vier Plätze für die Zonen bei den Paralympics ausgespielt wird, muss sie vorher stattgefunden haben, weshalb wir mit dem Termin nicht wieder in den Herbst gehen konnten. Die Mannschaften hätten sonst in Rotterdam gespielt und nicht gewusst, ob ihr Platz in Bezug auf die Paralympics überhaupt etwas wert ist.
Müssen nun andere Veranstaltungen wie beispielsweise die U25-WM der Damen weichen?
Mehrens: Es werden keine Veranstaltungen ausfallen. Die Konsequenz ist einfach, dass das Jahr gedrängt ist. Ich kann verstehen, dass es diese Ängste und negative Äußerungen gibt. Aber ich kann nur sagen, dass sich viele Menschen viel Mühe gegeben haben, dass die Weltmeisterschaft stattfinden kann. Sie ausfallen zu lassen stand nie zur Option.
Kucera: Dem kann ich nur zustimmen. Bei der U25 braucht keiner Bange haben, die U25-WM findet definitiv statt. Schon aus strategischen Gesichtspunkten. Wir wollen unbedingt, dass Rollstuhlbasketball bei Frauen und bei den Junioren Bestand hat und weiterentwickelt wird. Auch wenn mir der enge Terminkalender einige schlaflose Nächste bereitet hat, stand die U25-WM nie zur Disposition.
Was erhoffen Sie sich nun von den Großereignissen in 2023, speziell von der Weltmeisterschaft?
Mehrens: Erst einmal hoffen wir, dass sich das, was im Vorfeld passiert ist, relativiert. Wir wollen diese Veranstaltung nutzen, um die Philosophie von Rollstuhlbasketball auszubauen und auch vor Ort weiter zu stärken. Daran arbeiten wir auch mit unserem Partner FIBA. In Zukunft hoffen wir, mehr Symbiosen zwischen den beiden Verbänden herstellen zu können.
Kucera: Die Entscheidung für die Weltmeisterschaft in Dubai ist sehr deutlich gefallen – gegen die renommierten Mitbewerber Algerien und Kanada. Dabei ging es uns primär um einen Aspekt: Lasst uns in der Region auch Frauenbasketball entwickeln. Zugegeben, das ist
schwierig, aber wir halten an dieser Philosophie fest. Immerhin war die IWBF der erste Sportverband der Welt, der das Kopftuch erlaubt hat, damit diese Nationen an internationalen Wettbewerben teilnehmen dürfen. So haben zum Beispiel Algeriens Frauen schon bei den Paralympics Rollstuhlbasketball gespielt, da konnten leider Sportlerinnen anderer Sportarten nur von träumen.
Sie sprechen von der Rollstuhlbasketball-Philosophie. Was meinen Sie konkret?
Mehrens: Rollstuhlbasketball ist eine der populärsten Sportarten für Menschen mit Behinderung. Aber eben auch eine Sportart, für Menschen mit und ohne Behinderung. Das gibt dem Sport eine ganz eigene Dynamik, die wir weiter ausbauen wollen und worauf wir unseren Fokus legen.
Wie passt hier die letzte Änderung der Klassifizierung ins Bild, die nun ein paar Athleten und Athletinnen ausschließt?
Mehrens: Die Änderungen in unserem Klassifizierungssystem wurden notwendig, um Mitglied in der Paralympischen Bewegung zu bleiben. Es war eine Entscheidung des gesamten IWBF Executive Council, dass wir alles tun müssen, um konform mit dem IPC-Klassifizierungs-Code zu werden. Diese Entscheidung spiegelt exakt den Wunsch unserer Mitgliedsländer wider. Der IPC Klassifizierungs-Code und die internationalen Standards dazu beabsichtigen einen Klassifizierungsprozess für alle Behindertensportarten, der fair, transparent und einheitlich ist. Um ein Teil in der Paralympischen Bewegung zu sein, müssen internationale Fachverbände diesen Code unterzeichnen und das eigene Regelwerk entsprechend dem des IPC angleichen.
Kucera: Die Anpassungen, die wir mit unseren neuen Regeln umgesetzt haben, sichern nicht nur den Verbleib in der Paralympischen Bewegung, sondern sind auch die Grundlage für zukünftige Generationen, die Motivation und den Ehrgeiz zu haben, dass sie eines Tages Spielerin oder Spieler bei den Paralympischen Spielen sein könnten. Die Überarbeitung unserer Klassifizierungsregeln galt aber nicht nur der Anpassung an den IPC Code alleine, sondern soll auch unsere Klassifizierung zu stärken. Das setzen wir durch die Einführung solider ergänzender Regeln, Untersuchungen und neuer, effektiver Prozesse um. Nur dadurch können wir die Einheitlichkeit in unserer Klassifizierung für den Sport erhalten.
Mehrens: Nichtsdestotrotz bietet der Rollstuhlbasketball, auch dank der Spielerpunkte-Klassifizierung, eine einzigartige Möglichkeit auf nationaler Ebene und im Breitensportbereich, um Integration umzusetzen und Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderung im selben Team genderübergreifend zu ermöglichen und voranzutreiben.