Erschienen in Rollt.#38 10/2024
Tan Caglar (44) ist Schauspieler, Comedian – und Rollstuhlbasketballer. Und wenn er daneben mal Zeit übrighat, fährt er gerne im Auto durch die Gegend. Ein Gespräch über schwierige Lebensphasen, einen eigenen Court im Garten darüber, niemals wirklich anzukommen.
Man kennt ihn aus der ARD-Serie „In aller Freundschaft“, aus dem Berliner Tatort oder von einer seiner eigenen Shows: Tan Caglar hat sich als Schauspieler und Comedian einen Namen gemacht. Dabei lief es für den Hildesheimer nicht immer so gut. Tan Caglar kam mit Spina bifida zur Welt und war schließlich auf den Rollstuhl angewiesen. Das warf den türkischstämmigen jungen Mann erst einmal aus der Bahn – bevor der Rollstuhlbasketball sein Leben wieder in die richtige Richtung gelenkt hat. Sein Weg führte ihn auf den Laufsteg, auf die Bühne, vor die Kamera und nun auch ans Mikrofon. Und in die Halle. Tan Caglar spielt aktuell bei den Ahorn Panthern Paderborn in der Regionalliga Rollstuhlbasketball und hätte sogar noch einmal in die Bundesliga aufsteigen können. Doch daraus wurde nichts – worüber der 44-Jährige gar nicht traurig ist.
Tan, warst du immer schon so schlagfertig und witzig?
„Humor fand ich immer schon gut und habe das als Instrument genutzt, um meine Gefühle zu transportieren. Klar, in schwierigen Phasen kann man seinen Humor schon auch mal verlieren. Aber als ich mit meinen Vorträgen zu Inklusion und Integration begonnen habe, habe ich dabei auch mal einen Witz gemacht. Die Leute fanden das gut und haben gelacht, das hat sich irgendwie so verbunden angefühlt. Also habe ich das immer mal wieder gemacht und bin so zur Stand-up-Comedy gekommen.“
Mit schwierigen Phasen meinst du deine Depression, oder?
„Ja, ich hatte vier Jahre schwere Depressionen, als ich dann nur noch auf den Rollstuhl angewiesen war. In dieser Zeit habe ich Menschen gemieden. Durch den Sport und das Training habe ich aber wieder Anschluss gefunden. Plötzlich haben mir 200 Leute beim Rollstuhlbasketball zugeschaut, das war ein starker Kontrast. Was mir am meisten geholfen hat, meine Situation zu akzeptieren: Vorher hätte ich nie eine Chance gehabt, einen Profivertrag im Sport zu unterschreiben. Da ist mir klargeworden, dass sich durch den Rollstuhl sogar neue Wege eröffnen.“
Dann hat der Rollstuhlbasketball dir wieder zurück ins Leben geholfen.
„Seit ich mit Rollstuhlbasketball angefangen habe, wurde mein Leben positiver und ist wortwörtlich ins Rollen gekommen. Man darf nicht unterschätzen, wie gut einem das Kameradschaftliche im Sport tut. Wir waren durch unsere Liebe zum Sport miteinander verbunden. Im Hintergrund wussten wir, was ein körperliches Handicap mit uns macht. Auch wenn die Behinderung manchmal ein Tabuthema war, hat mir das trotzdem unglaublich geholfen. Vor allem seelisch.“
Wie bist du denn eigentlich zum Rollstuhlbasketball gekommen?
„Ich war wie fast jedes Kind erst beim Fußball. Weil ich aber schon da eine Gehbehinderung hatte, kam ich ins Tor. Ich war da gar nicht schlecht und konnte vor allem mit dem Ball in der Hand gut umgehen. Aber als dann aber die Rückpassregel kam, war das für mich blöd. Ich bin zu Tischtennis gewechselt, wo wir immer Basketball gespielt haben, bevor der Trainer kam. Da habe ich gemerkt: Das liegt mir. Als ich mit Mitte 20 schließlich auf den Rollstuhl angewiesen war, hat mich ein Physiotherapeut zum Rollstuhlbasketball gebracht.“
Erst hattest du aber keine rechte Lust darauf.
„Das stimmt. Ich habe mir gedacht, da werfen sich einfach fünf Behinderte den Ball an den Kopf. Als ich dann aber bei den Paralympics im Fernsehen gesehen habe, was Rollstuhlbasketball wirklich ist, war ich begeistert.“
Du hast kurz darauf mit Hannover in der Bundesliga gespielt und warst Teil der Nationalmannschaft. Gibt es besondere Erlebnisse aus dieser Zeit, die dir im Gedächtnis geblieben sind?
„Einige. Spontan fällt mir da das erste Kadertraining mit der Nationalmannschaft ein. Ich war sehr aufgeregt, schließlich waren da meine besten Gegenspieler aus der Bundesliga dabei. Mir ist dann gleich am Anfang eine Achse gebrochen. Ich dachte, sowas kann gar nicht kaputt gehen und hatte natürlich keinen Ersatz dabei. André Bienek hat mir dann eine von sich gegeben. Das hat mir gezeigt, wie kollegial das dort ist. Daran erinnere ich mich sehr gerne.“
Und sportlich gesehen, gibt es da auch ein besonderes Ereignis?
„Definitiv der Aufstieg mit Hannover. Das ist jetzt über zwölf Jahre her, wir haben damals in Oldenburg gegen Essen gewonnen. Danach haben wir mit Champagner, Konfetti und Zigarren in der Halle gefeiert. Für die Säuberung mussten wir viel Geld zahlen (lacht).“
Jetzt hast du ja quasi schon wieder einen Aufstieg gefeiert – auch wenn ihr mit Paderborn auf die Zweite Bundesliga verzichtet.
„Ja, richtig. Ich bin bei Paderborn unter Vertrag und wir sind in dieser Saison Meister geworden. Das hätte bedeutet, dass ich mit dann 44 Jahren nochmal Bundesliga spiele. Aber der Verein verzichtet auf den Aufstieg, der Aufwand ist einfach zu groß. Ich muss selbst gestehen, dass ich gar nicht ins Training gehe. Ich fahre einfach 300 Kilometer dorthin und schaffe selbst in der Regionalliga diesen Aufwand nicht. Zum Glück zehre ich noch ein wenig von früher.“
Trainierst du für dich zuhause?
„Ich habe im Corona-Lockdown beinahe alles Geld, das ich bisher verdient habe, investiert und mir in den Garten einen eigenen Court bauen lassen. Da kann ich jetzt einiges tun.“
Bleibt dir neben Training, Spielen und Karriere noch Zeit für Familie und Freunde?
„Ich versuche so viel Zeit wie möglich dafür aufzubringen und habe beschlossen, beruflich nun weniger Termine zu machen. Der Großteil meiner Familie lebt zwar in der Türkei, aber zu meinen Eltern hier habe ich einen sehr guten Bezug. Und ich merke, dass sie mich jetzt mehr brauchen. Auch Freunde benötigen Zeit und mit Anfang 40 ist mir klargeworden, dass es eben auch andere Dinge gibt als Sport und Beruf.“
Wenn du Freizeit hast, wie verbringst du sie dann am liebsten?
„Bin ein Riesen-Autofan. Obwohl ich 80.000 Kilometer im Jahr wegen meinem Beruf im Auto unterwegs bin, habe ich auch in der Freizeit noch Lust darauf. Ich fahre einfach gerne und höre dabei Musik. Außerdem bin ich ein großer Filmgucker, vor allem Klassiker aus den 90ern wie Bud Spencer und Rocky finde ich toll. Und viele Freunde teilen das mit mir. Außerdem ist auch meine Tätigkeit als Autor mein Hobby, meine Texte für die Bühne schreibe ich ja selbst.“
Liegt dein Fokus aktuell mehr auf der Comedy oder dem Schauspiel?
„Beides hat sich lange die Waage gehalten. Diesen Sommer mache ich zum ersten Mal eine Comedy-Pause und schreibe an meinem neuen Programm, das im Herbst herauskommt. Daneben konzentriere ich mich auf die Serien und Filme, in denen ich mitspiele, da habe ich schließlich regelmäßig Drehbücher auf dem Tisch. Außerdem fange ich mit einem Schauspiel-Kollegen bald einen eigenen Podcast an. Es soll dabei um Freundschaft gehen.“
War das die Karriere, von der du auch als Jugendlicher schon geträumt hast?
„Als Jugendlicher wollte ich immer Dolmetscher werden. Ich dachte, ich bin das Non-Plus-Ultra, weil ich Türkisch und Deutsch spreche (lacht). Dann wollte ich Polizist und Arzt werden – jetzt spiele ich beides im Fernsehen. Das hatte ich mir nie gedacht. Gerade das mit dem Schauspiel hat sich während dem Lockdown einfach so ergeben. Als ich mal bei Markus Lanz in der Sendung war, dachte ich, der Olymp ist erreicht. Aber dann gab es immer neue Schritte. Ein Ankommen gibt es in diesem Beruf nicht.“
Das ist bestimmt auch manchmal schwierig.
„Es hilft, wenn man eine gewisse Sicherheit hat, dass man auf weichen Boden fällt. Ich habe Familie und Freunde, die mich auffangen und beruflich viele Möglichkeiten. Natürlich kann es finanziell auch mal schwieriger werden, aber im Moment habe ich das Gefühl, dass ich mich in einer positiven Spirale nach oben befinde.“
Hast du auch mal Negatives erfahren im Laufe deiner Karriere, Diskriminierung zum Beispiel?
„Seit ich 2017 Comedy und 2020 Schauspiel mache, biete ich eine Angriffsfläche. Da habe ich mich immer gefragt, ob ich auch mal einen Shitstorm abbekomme. Aber zu meiner Überraschung ist das nie wirklich passiert. Klar, gab es auch mal Kommentare, wo Leute witzig sein wollten und etwas über „Stand up im Rollstuhl“ geschrieben haben. Aber etwas richtig Böses habe ich nur einmal gelesen. Und im Nachhinein fand ich den Typen sehr kreativ. Er hat etwas geschrieben wie „Schade, dass du nicht mehr laufen kannst, weil wenn du noch laufen könntest, dann solltest du wieder zurück in dein Land laufen“. Das ist wirklich böse, aber auch kreativ. Den hätte ich gerne mal angeschrieben und gefragt, ob er mir beim Texte schreiben hilft (lacht).“
Warum glaubst du, hast du nie mit schlimmerer Diskriminierung zu tun gehabt?
„Ich habe da auch schon sehr lange drüber nachgedacht. Viele Rollstuhlfahrer die ich kenne, bekommen da ganz andere Sachen ab. Also scheint es nicht unbedingt eine Berührungsangst zu geben, weil ich im Rollstuhl sitze. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass es etwas damit zu tun hat, dass ich mal Rollstuhlbasketball auf Profiniveau gespielt habe.“
Apropos: Verfolgst du die Szene eigentlich noch?
„Ich schaue mir viele Spiele im Stream an. Bei Hannover, den Bulls oder in Lahn-Dill schaue ich auch ab und zu bei Spielen vorbei und nehme Freunde mit, die das noch nie gesehen haben. Es macht wirklich Spaß zu sehen, wie sich der Sport entwickelt hat. Es ist immer schneller, immer dynamischer geworden. Da merkt man, wie viel Potenzial noch im Rollstuhlbasketball steckt.“